Selbstfürsorge versus Selbstoptimierung

Ostern steht vor der Tür. Angesichts des diesjährig späten Termins des Festes ist es für viele Menschen eine gute Gelegenheit ein paar Tage in der Frühlingssonne zu entspannen. Gibt es aber jenseits des Freizeitwertes etwas, was Ostern uns heute noch geben oder sagen kann?
Ich denke ja, denn dieses Fest umfasst zwei äußerst unterschiedliche Ereignisse, die in unserer Gesellschaft streng getrennt sind: Schmerz und Freude. Während wir schon von einer fast manischen Suche nach einer Steigerung von Glück und Freude getrieben werden, ist die Beschäftigung mit Schmerz und Leid eher etwas, was an den Rand gedrängt wird.
Heute wird der Einzelne, die Einzelne immer stärker für das Gelingen oder Misslingen seines/ihres Lebens verantwortlich gemacht. Ich halte es nicht für falsch, sich um sein Leben zu kümmern und Verantwortung für seine Gedanken und Taten zu übernehmen. Der Unterschied zwischen einer guten Selbstfürsorge und der Selbstoptimierung liegt aber darin, dass die Selbstoptimierung mehr oder weniger nur um sich selbst kreist und nie mit dem Erreichten zufrieden sein kann, denn es gibt in allem immer ein Mehr, das man erstreben kann. Die Selbstfürsorge hingegen verliert die Mitwelt nicht aus dem Blick und muss sich nicht immer weiter quantitativ steigern.
Es gibt aber noch einen Punkt, weshalb ich die Ideologie der glücklichen Selbstoptimierung für problematisch erachte. Sie blendet nämlich nicht nur die Schattenseiten des Lebens aus, sondern auch, dass sich das Leben nicht immer um unsere Wünsche kümmert, egal wie hart wir dafür arbeiten. Nicht alles im Leben ist machbar.
Aber auch die Vorstellung, das Universum werde sich schon um uns und unsere Belange kümmern, kann eine Flucht vor dem Leben mit seinen unerfreulichen Seiten sein. Denn eines ist das Universum oder Gott oder welchen Begriff man dafür einsetzten möchte, sicher nicht: eine Wunscherfüllungsmaschine. Nicht einmal dann, wenn es um das Fundamentalste geht: den Wunsch nach psychischer und physischer Gesundheit für uns und die Menschen, die uns nahestehen.
Das verdeutlicht uns Ostern sehr anschaulich. Jesu Wunsch, dass der Kelch des  Leidens und Todes an ihm vorüberziehen möge, wurde nicht erfüllt. Er musste sich dem stellen, was Karl Jaspers die Grenzsituationen des Lebens nannte. Leid, Schmerz, Tod. Jene Situationen, in denen wir vor einem tiefen Abgrund stehen, dessen Finsternis uns angähnt und wo wir nicht wissen, ob wir den Abgrund überwinden können. Dazu kommt, dass sich manches von dem, was uns bis dato getragen hat, auf einmal als brüchig erweist.
Selbst spirituelle und religiöse Gewissheiten können ihre Sicherheit verlieren. Zum Schmerz und der Angst vor dem, was kommt, kann sich nun die Qual gesellen, dass das, was lange wesentlich gewesen ist, nicht mehr für Halt sorgt. Wenn Jesus am Kreuz den 2. Vers aus Psalm 22 ausruft, in dem es heißt: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen“, dann wohl deshalb, weil ihm in dieser Situation die Gewissheit, dass Gott bei ihm ist, zerbrochen war.
Aus diesem Grund halte ich Ostern für ein so wichtiges Fest, denn es erinnert uns daran, dass sich Schmerz, Leid und Tod nicht aus dem Leben wegoptimieren lassen. Dies anzuerkennen, ist für den Einzelnen und die Gesellschaft wichtig, denn diese Einsicht kann zu einem anderen Umgang mit den menschlichen Grenzsituationen führen.
Wir wissen aus psychologischen Studien, dass es Menschen, denen es nicht gut geht, in Gesellschaften, die „gut drauf sein“ zur Maxime erhoben haben, noch schlechter geht, weil sie die gesellschaftliche Erwartung nicht erfüllen können.
Wenn eine Gesellschaft es jedoch aushält, dass Schmerz und Leid fundamentale Bestandteile des Lebens sind, kann sie anders mit Menschen umgehen, die inmitten dieses Schmerzes und Leides stehen. Selbst wenn Solidarität und Zuwendung nicht jedes Leid transformieren, können sie dazu beitragen den Schmerz erträglicher zu gestalten und neue Schritte ins Ungewisse zu ermöglichen. Solidarisch miteinander umzugehen, auch das ist eine Kernbotschaft Jesu gewesen, die, wie ich denke, im Lauf von 2000 Jahren nichts von ihrer Bedeutung verloren hat.