Warum glauben Menschen an Verschwörungstheorien?

Seit Beginn der Corona-Krise „beglücken“ uns wieder etliche Verschwörungstheorien bezüglich der Herkunft dieses Erregers. Je nach dem Milieu aus dem sie stammen, bieten sie andere Verursacher der Corona-Epidemie, aber eines ist allen gemeinsam: sie lehnen die Erklärung etablierter Wissenschaftler ab. So wird z.B. Bill Gates, der sich zusammen mit seiner Frau Melinda und ihrer gleichnamigen Stiftung seit Jahren intensiv mit der Bekämpfung von Krankheiten beschäftigt, unterstellt, den Erreger freigesetzt zu haben, um mit einem vermeintlichen längst in seinen Schubladen liegendem Impfstoff Milliarden zu verdienen.

In diesem Kontext wird auch George Soros genannt, der jüdisch-ungarisch-stämmige US-Milliardär. Er wird in vielen Verschwörungstheorien für nahezu jedes Elend dieser Welt verantwortlich gemacht. Dies hat damit zu tun, dass er gleich zwei Lieblingsnarrative der Verschwörungsideologen bedient: das der reichen Eliten, die das Volk unterdrücken wollen und das der zionistischen Weltverschwörung, die letztlich dasselbe will.

Aber auch Amerika als Staat, der China wirtschaftlich schädigen möchte, ist ein Kandidat in den Erklärungsmodellen von Verschwörungsideologen.

Daneben finden wir noch die 5G-Mobilfunk-„Theorie“, wonach die Aktivierung des 5G-Netzes in China zum massenhaften Sterben der Menschen geführt haben soll (ähnlich wie in Italien). Um dies zu vertuschen, sei die Theorie vom Coronavirus in die Welt gesetzt worden.

Auch die Leugnung der Pandemie erfreute sich auf alternativen Kanälen einer nicht unerheblichen Beliebtheit (zumindest bis die Situation in den Krankenhäusern in Italien, Spanien, Frankreich und den USA auch bei uns immer bekannter wurde). Ähnlich wie beim Klimawandel wird hier auf vermeintliche Experten verwiesen, die erklären, dass es keine Corona-Krise gebe, dass Corona nur eine Art Grippe sei, und dass das Ganze eine Panikmache sei, um ungehindert Bürger- und Freiheitsrechte einzuschränken.

Ich möchte an dieser Stelle nicht auf die Argumente der jeweiligen Verschwörungstheorien eingehen und auch nicht auf die Frage, ob es nicht berechtigte Einwände gegen verschiedene Maßnahmen im Kontext der Eindämmung von Corona geben könnte. Mich interessiert etwas sehr viel Generelleres: Weshalb ist ein bestimmter Teil der Menschen so begeistert von Verschwörungstheorien und auch so anfällig für selbige?

Wir müssen uns zunächst bewusst machen, dass das, was wir heute als Verschwörungstheorien bezeichnen, in der Geschichte der Menschheit bis in die Moderne hinein, ein gängiges Modell zur Erklärung von Krisen war. Es sei nur an das Narrativ der Brunnenvergiftung durch die Juden im Mittelalter erinnert, die man damit für den Ausbruch von Pestepidemien verantwortlich machte. Ähnlich verhält es sich mit der Dolchstoßlegende, die von der obersten Heeresleitung in Deutschland am Ende des Ersten Weltkrieges in die Welt gesetzt wurde, um ihre Schuld an der militärischen Niederlage anderen in die Schuhe zu schieben. Verschwörungstheorien sind erst seit den 60iger Jahren des 20. Jahrhunderts stärker ins Hintertreffen geraten, wie Michael Butter betont, der sich wissenschaftlich mit ihnen beschäftigt.

Ich glaube es sind zwei Aspekte, die Verschwörungstheorien für einige Menschen so attraktiv machen. Da wäre einmal der Erwähltheitsgedanke. Wer an Verschwörungstheorien glaubt, unterstellt, dass die große Masse der Menschen blind oder manipuliert ist und deshalb die Dinge nicht erkennt, während man selbst zu den Wissenden zählt. Das Wissen, zu einem Kreis von Auserwählten zu gehören, ist für die Psyche so schmeichelhaft, dass man sich ungern freiwillig davon verabschiedet. Dies ist einer der Gründe, weshalb Diskussionen mit Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, zu nichts führen. Jedes Argument, das gegen die jeweilige „Theorie“ vorgebracht wird, zeigt dem Verschwörungsgläubigen nur, dass der andere ein Opfer der Manipulation ist und nicht über das tiefere Wissen der Verschwörungsideologen verfügt.

Der zweite Aspekt hat mit der Komplexität und Uneindeutigkeit der Welt zu tun. Beides kann dazu führen, dass wir uns psychisch überfordert fühlen. Auch wenn wir heute das Gefühl haben, dass die Komplexität gestiegen ist, hatten Menschen vorausgegangener Zeiten wahrscheinlich ein ähnliches Gefühl.

Ein in der Geschichte der Menschheit probates Mittel mit diesem Gefühl der Überforderung umzugehen, war der metaphysische Rückgriff auf eine höhere Instanz, von der man überzeugt war, dass sie wüsste, weshalb die Dinge so passieren, wie sie passieren.

In den monotheistischen Traditionen war diese höhere Instanz Gott, der als Allmächtiger und Allwissender die Zügel des Weltgeschehens in den Händen hielt. In der griechischen Antike waren es entweder der vernünftige Kosmos oder das Schicksal, die diese Funktion erfüllten. Die Menschen vertrauten darauf, dass alles, was ihnen in diesem Leben widerfuhr, in irgendeiner Weise eine Bedeutung und Stimmigkeit habe, selbst wenn sich diese nicht in diesem Leben erschließen ließ.

Verschwörungstheorien sind letztlich die schlechte säkularisierte Variante dieses Denkens. Denn während der religiöse Mensch durchaus noch anerkannte, dass es ihm in diesem Leben nicht immer möglich sei, die Zusammenhänge zu verstehen, ist der Verschwörungsideologe davon überzeugt, diese Zusammenhänge stets erkennen und erklären zu können. Mehr noch: er glaubt prinzipiell, dass nichts zufällig passiert, sondern dass alles geplant ist. Wenn etwas geplant ist, dann gibt es natürlich einen Planenden und somit einen Verantwortlichen. Die Möglichkeit, dass Dinge zufällig passieren, dass nicht hinter allen Ereignissen ein höherer, verborgener Plan steht, ist eine Möglichkeit, die Verschwörungsideologen kategorisch ablehnen.

Wir wissen aus der Psychologie, dass Menschen eine abstruse Erklärung von Ereignissen oft als befriedigender empfinden als keine Erklärung zu haben. Aus diesem Grund basteln wir uns selbst oftmals die absurdesten Erklärungen für Ereignisse, die schmerzhaft oder bedrohlich sind, an die wir dann tatsächlich glauben. Wenn wir etwas erklären können, dann fühlen wir uns der Sache nicht mehr hilflos ausgeliefert. Wir gewinnen scheinbar eine Form von Handlungsfähigkeit. Etwas ähnliches passiert bei Verschwörungstheorien. Sie sind ein Versuch, der Uneindeutigkeit und Komplexität der Welt etwas entgegenzuhalten. Ein reifes menschliches Verhalten bestünde jedoch darin zu lernen, diese Uneindeutigkeit der Welt auszuhalten.