Zum Glück gibt’s auch noch Sinn

Als Philosophin, die sich mit dem Thema Lebensglück beschäftigt, werde ich in diesen Corona-Zeiten immer wieder gefragt, was Menschen denn tun können um glücklich zu sein, bzw. was denn helfen könne, sich nicht unterkriegen zu lassen. Da die Corona-Pandemie mit ihren Auswirkungen bei weitem nicht alle Menschen gleichermaßen trifft, wird die Frage, was der eigenen Lebenszufriedenheit zuträglich ist, vermutlich sehr unterschiedlich ausfallen. Dennoch glaube ich, dass wir in der philosophischen Tradition ein paar hilfreiche Gedanken finden können.

Die Wurzel der Lebenszufriedenheit

Spezialisten bezüglich der Fragen nach dem Lebensglück waren die antiken Philosophen Griechenlands, da sie sich mit der so genannten Eudaimonia beschäftigt haben. Unter Glück verstanden sie, so unterschiedlich die Inhalte ihrer Schulen waren, meistens so etwas wie Lebenszufriedenheit. Diese gründet darin, dass man alles, worauf man keinen Einfluss hat, hinnimmt und seine Energie auf die Dinge verwendet, die man beeinflussen kann. Beeinflussen können wir demnach unsere Gedanken, unsere Haltungen und die Art und Weise, wie wir auf die Welt blicken.

Die äußere Welt hingegen wurde in den seltensten Fällen als unserem Einfluss unterliegend betrachtet. Egal, ob die Stoiker eine höhere Schicksalsmacht am Wirken sahen oder ein Denker wie Epikur davon überzeugt war, dass purer Zufall im Kosmos waltet, so waren sie sich darin einig, dass die Haltung des Einzelnen über sein Wohl und Wehe bestimmt. Ein wesentlicher Ratschlag lautete daher, die eigenen Bewertungen über einen Sachverhalt immer wieder zu hinterfragen, denn nicht die Sache selbst, sondern unsere Bewertung macht uns unzufrieden.

Sinn statt Glück

Was ich bei der Frage nach dem, was uns heute in diesen Pandemie-Zeiten glücklich macht oder uns hilft, uns die Laune nicht verderben zu lassen, wirklich interessant finde, ist jedoch etwas anderes. Hinter dieser Frage steht indirekt die Vorstellung, dass wir in allen Zeiten und unter allen Umständen glücklich und zufrieden sein können beziehungsweise vielleicht sogar ein Anrecht darauf hätten, es zu sein. Und dass dies das Wichtigste im Leben sei. Mir ist bewusst, dass dies tatsächlich auch ein Ziel der antiken Schulen war, doch halte ich dieses Ziel nicht mehr für so erstrebenswert.

Für ein gelingendes Leben ist nämlich etwas anderes wichtiger als Glück. Es ist das Erleben von Sinnhaftigkeit. Sinnhaft erleben wir unser Leben, wenn wir das, was wir tun, für bedeutungsvoll erachten. Als bedeutungsvoll erfahren wir vor allem das, was nicht primär unserer eigenen Bedürfnisbefriedigung dient, sondern anderen zugutekommt. Oder wenn es um uns selbst geht, unserem Wachstum und unserer Reife dient. Dies ist vielleicht auch der Grund, weshalb uns die Suche nach dem Lebensglück oft nicht glücklich macht. Bei dieser Suche drehen wir uns sehr oft nur um uns selbst.

Den Schmerz integrieren

Zur Sinnhaftigkeit kommt aber noch etwas hinzu und das halte ich in Zeiten einer Pandemie für sehr wichtig. Es geht darum, das, was uns widerfährt, in eine als stimmig erfahrene Lebensgeschichte integrieren zu können. Dazu gehören auch schmerzhafte und unerfreuliche Erlebnisse, denn diese sind ein fundamentaler Teil des Lebens.

Karl Jaspers sprach davon, dass wir in unserem Leben immer wieder mit sogenannten Grenzsituationen konfrontiert werden. Das sind Erfahrungen, die ein „weiter so wie bisher“ verunmöglichen, weil sie existentielle Brüche in einer Biographie erzeugen. Für Jaspers zählten u.a. Krankheit, Tod, Trennung, Schuld dazu. Ich denke, die Erfahrungen des Lockdowns können wir ebenso dazu zählen. Für Jaspers war der Weg mit diesen Erfahrungen umzugehen, sich ihnen zu stellen und sie zu durchleben. Vielleicht bedeutet dies im Kontext der Pandemie, dass wir bereit sind anzuerkennen, dass unsere Leben, so sehr wir sie planen und organisieren, niemals völlig unserer Verfügungsgewalt unterliegen. Dass Brüche, zerstörte Wünsche, durchkreuzte Pläne ein Teil des Lebens sind, die wir auch annehmen müssen, ohne dass wir deshalb unsere Leben gleich als gescheitert betrachten.